Η νουβέλα του Άκη Παπαντώνη "Καρυότυπος"
έχει μεταφραστεί στα γερμανικά από την
Έλενα Σταγκουράκη (Eleni Stagkouraki).
Τα δικαιώματα της μετάφρασης ολόκληρου του έργου
και κατ' επέκταση των κεφαλαίων που παρουσιάζονται εδώ
έχουν κατοχυρωθεί.
___________________________________________
Aus der Novelle "Der Karyotyp" von Akis Papantonis
übersetzt ins Deutsche von Eleni Stagkouraki©
Bald wirst du alles vergessen haben,
und bald wirst auch du bei allen in Vergessenheit sein.
MARKUS AURELIUS
[1]
Es gab Tage, an welchen der Nebel sich zurückzog. Erst dann kamen die Farbe der Steine auf dem Gehsteig und die Flicken im Gras in den Vorgärten zum Vorschein, jener Moosbezug, der die Dächer der gleichaussehenden und gleichgefärbten Häuser bedeckte. An solchen Tagen atmete die Stadt tief ein. Er ging zu im Voraus geplanten langen Spaziergängen hinaus, immer alleine, in Schals, Pullover und Mantel gut eingehüllt. Er stieg die sieben Stufen mit äußerster Vorsicht hinauf und erreichte den Gehsteig. Jedes Mal zählte er sie mit der Angst, dass sie sich vielleicht über Nacht vermehrt oder verringert hätten. Sobald er die letzte Stufe erreichte, tastete er den Gehsteig mit der Spitze seines Schuhs ab, als ob er die Wassertemperatur eines fiktiven Meeres testete. Dann lief er los. Er ging auf dem Gehsteig und achtete darauf, dass er seine Schritte immer innerhalb der vier Seiten der Platten setzte. Im Falle, dass es geschneit hatte, achtete er besonders darauf, dass er mit größter Präzision den Schritten seines Vorgängers folgte. Er ging langsam. Um die Straße zu überqueren, benutzte er immer die Zebrastreifen. Und immer setzte er dieselben Orientierungspunkte für die Strecke: den roten Postkasten der Royal Mail um die Ecke, der verlassene Pub „Fox & Hounds“, das Haus mit den grüngefärbten Wänden, den unrasierten und am Zaun der Stadtbibliothek lehnenden Obdachlosen, das Schaufenster des Teeladens am Eingang des Marktes. Immer dieselben Abbiegungen nach rechts oder links auf der Karte seines alltäglichen Lebens. Nicht dass er in einer Stadt verloren gehen würde, die er trotz seiner drei Jahre dort kaum kannte. An einem Donnerstagnachmittag fand er seine Orientierungspunkte anders vor. Er schenkte dieser Tatsache keine besondere Bedeutung. Wie immer stieg er die sieben Stufe hinauf. Frischer Schnee bedeckte die Lünette seiner Wohnung und den roten Postkasten. Aus dem Pub entwickelte sich langsam eine TescoSupermarktfiliale. Das grüne Haus lag unter Nylonschichten und die herumlaufenden Arbeiter glichen Ameisen. Der Zaun der Stadtbibliothek war frischgestrichen und der Obdachlose war nirgendwo zu sehen. Er ging weiter. Er glaubte nämlich nicht an Zeichen. Das Schaufenster des Teeladens war zum Beispiel intakt. Dosen und Büchsen mit English Breakfast, Green Leaf, Darjeeling und Earl Grey waren auf einandergestapelt. Einer der roten Busse, die nach London fuhren, fuhr auf den Gehsteig. Er sah nichts und hörte auch nichts. Er war auf der Stelle tot. Leute sammelten sich um ihn herum. Manche weinten laut vor sich hin. Das Schaufester des Teeladens war jetzt mit Blut bespritzt. Die Polizei sperrte stundenlang die Straße mit gelbem Polizeiband ab: „POLICE LINE DO NOT CROSS“. Das Ereignis wurde detailiert aufgenommen und viele Fotos wurden geschossen. Bis hin in den frühen Abend lag sein Körper auf dem Gehsteig. Am nächsten Morgen sorgte sein Tod für die Schlagzeilen in der Oxford Times und der Oxford Mail. Dazu waren auch Mitteilungen von Passanten und Nachbarn zu lesen, mit welchen er nicht einmal einen Blick ausgetauscht hatte.
[2]
Hinter sich zurück ließ er überhaupt nichts. Beim Umzug hatten ihm seine Eltern und seine Schwester mit zwei Autos geholfen. Auch ein Cousin von ihm, den er jahrelang nicht mehr gesehen hatte und an dessen Namen er sich jetzt nicht mehr erinnern konnte. Er ist damals mit seinem Transporter hergefahren, um der Familie zur Hand zu gehen. Sie hatten alles in Kartons für Milchdosen der Marke NOYNOY und in schwarze Müllsäcke eingepackt. Eins nach dem anderen hatten sie alles verpackt und in jede mögliche leere Stelle gesteckt. Sobald ein Karton oder ein Müllsack vollgepackt war, stellte er ihn in den leeren Salonraum. In der Diele hatte sich bereits ein Haufen von unbrauchbarem Zeug wie alte Kleidung, ein Basketball, ein Teppich und ein Plattenspieler gesammelt, welche verschenkt oder weggeworfen würden. Die Auswahl hatte er seiner Mutter überlassen. Von dem, was übrigblieb, würde er nur das mitnehmen, was in seinen beiden Koffern und in einem kleinen Sac voyage Platz hatte. „Weiter nichts“, hatte er sich klar gemacht. Dem Druck seiner Eltern nachgebend hatte er zugestimmt, dass sie ihm einiges per Spedition zuschicken, allerdings unter der Voraussetzung, dass er selbst über die zu versendenden Objekte entscheiden würde. Bettwäsche, spitzengeschmückte Handtücher, Töpfe und Schnellkochtöpfe wurden durch Kassetten, CDs, Bücher, Fotoalben, eine Münzsammlung, das Tonbandgerät, das sie ihm zu seinem zehnten Geburtstag geschenkt hatten, und sein altes Fahrrad ersetzt. Er legte alles auf einen neuen Stapel vor seinem (ehemaligen) Zimmer und versah diesen mit einem gelben post-it, auf dem zu lesen war: „Meine Damen und Herren, wir ziehen um“. Nachdem alles eingeladen war, schaute er nochmal im Haus herum, für den Fall, dass er versehentlich etwas vergessen hatte. Er machte nacheinander alle Schubladen und Schränke auf. Dann nochmal. Er sah mehrmals unter dem Bett und hinter dem Kühlschrank nach. Er sah sich ein letztes Mal um. Alles leer. Er ließ die Balkontüren offen und die Schlüssel in der Türstecken. Aus der Klingel am Eingang entfernte er seinen Namen. Bis zum Tag seines Abflugs wohnte er bei seinen Eltern. „Ich bin in meinem Elternhaus zu Gast“, sagte er am Handy. Das Doppelbett im Zimmer seiner Eltern hatte er abgelehnt, ebenso das damals neugekaufte IKEA-Sofa im Wohnzimmer, welches zu einem Bett umfunktioniert werden konnte. Ihm war die Vertrautheit seines mit Kram vollgestopften Kinderzimmers lieber. Am ersten Abend legte er sich früh hin. Trotztdem konnte er in diesem von Asterix- und Obelix-Figuren vollen Raum kein Auge zumachen. Der Widerschein des im Flur brennenden Lichtes auf der bronzenen Trompete seines Vaters – stumm auf dem Regal seit seinen Jahren an der Philharmonie– ließ ihn nicht einschlafen. Er stand auf und räumte sie woanders hin. Er legte sich wieder hin. Er hatte den Eindruck, dass er wieder ein acht- oder neunjähriges Kind war, das gelernt hatte, sein kleines orangenfarbenes Licht auszumachen. Die Jungs schlafen ohne LichtDie Pendeluhr im Wohnzimmer schlug zwölfmal. Er setzte seine Brille auf und ging durch den Flur. Er kam an die geöffnete Tür des Schlafzimmers seiner Eltern. Im Schlaf sank deren
Brust gleichzeitig hoch und nieder. Links vom Bett stand immer noch die Wiege seiner Schwester, die jetzt die Porzellanpuppen seiner Mutter beherbergte. Sein Vater legte immer wieder sein Haar zurecht, als ob er vor einem riesigen Spiegel sitzen würde. Seine Mutter blinzelte, als ob sie sich anstrengte aufzuwachen. Er setzte sich auf das Mosaikboden an der Tür und lehnte sich gegen die Wand. Er würde schwören, dass in diesem Moment ein langer Zug, so lang wie die Frauen in den Werbungen, den Flur durchquerte. Trotzdem schlief er ein. Am nächsten Morgen sprach keiner ein Wort darüber. In der nächsten Nacht schaffte er es, nur zwischen drei und sechs Uhr morgens zu schlafen. Der in der Luft schwebende Staub störte ihn und er musste husten. Ihn störte auch das altbekannte Mosaik, er wusste aber nicht warum.
[3]
Zum Flughafen wurde er von einem Tross stummer Verwandter gebracht. Er lächelte ihnen zu und erzählte Witze, während alle andere jammerten. Nur seine Schwester war nicht da. „Schwanger mit Zwillingen“, entschuldigte sie seine Mutter immer wieder. Eine glaubwürdige Ausrede. Allerdings stieg ihm in diesem Moment ihre Abwesenheit in den Hals. Er ging zum Check-in Schalter . Die meisten Blicke und Umarmungen vermied er. Er ging in den Abflugsaal durch die Reisepasskontrolle und winkte ihnen mit der Hand, während er ihnen bereits seinen Rücken zugewandt hatte. „Wie kann ich Abflüge sehen und nicht weinen?“ sagte sein Vater und brach in Tränen aus. Seine Mutter dagegen sprach kein Wort. Nachdem er amDuty FreeShop vorbei und aus ihrer Sicht war, stellte er gleich sein Handy auf „lautlos“. Genauso würde es auch für die nächsten drei Jahre bleiben. An der Sicherheitskontrolle nahmen sie ihm sein Parfüm und die Kontaktlinsenflüssigkeit ab, da ihre Verpackung die 100ml-Grenze überschritt. Er hielt dies für eine Art Omen. Er sagte nichts und ging weiter. Er saß im Warteraum. Die Ankündigung des Einstiegs abwartend äugte er abwesend in seinen Reisepass und überlegte, wie wenig er der Person auf dem Foto ähnelte. Dann fragte er sich, warum er sich in Flughäfen so einsam fühlte. An was erinnerten sie ihn, dass es so weh tat? Tiegel der menschlichen Gewohnheiten; Essen, Lesen, verlorenes Gepäck, schlecht geplante Abflüge und Ankünfte, die zu erwartende Tränen des Abschieds und der Wiederbegegnung. Dann hörte er vom Lautsprecher: „Die Passagiere des Flugs No A3608 nach London, Heathrow, werden zum Einsteigen gebeten“. Alle standen auf einmal auf. Dagegen zog er es vor, als Letzter einzusteigen. Er erinnerte sich an einen Artikel im National Geographic, wo er von einer alten rumänischen Sitte gelesen hatte, laut welcher man vor der Abreise als Glücksbringer einige Momente kompletter Stille einhalten solle. Er schloss die Augen und zählte bis zehn. Dann stand er auf und ging auf die lächelnde Frau mit dem Tuch um den Hals zu. Er zeigte ihr seinen Reisepass mit dem Foto, auf dem er kaum wiederzuerkennen war und seinen Boardingpass. Er durfte weiter. Er ging über die Fluggastbrücke und schaute dabei zu den Spitzen seiner Schuhe hinunter. Als er an der Stewardess vorbeiging, erwiderte er ihr Lächeln nicht. Wortlos zählte er die Sitzreihen und berührte dabei den Sitzrücken mit der Hand. Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben, acht… bis hin zu 19A, am Fenster. Er setzte sich und schnallte sich an, indem er seinen Sitzgurt fest- zog. Er steckte sich die ipod-Ohrstöpsel in die Ohren und konnte kaum die Mitteilung aus dem Cockpit hören: „Unser heutiger Flug zum Heathrow Flughafen wird ungefähr drei Stunden und fünfundvierzig Minuten dauern“. Den Namen des Pilots behielt er nicht. Die Ohrstöpsel nahm er nach dem Hinweis der künstlich lächelnden Stewardess nur während des Abflugs und der Landung ab. Die servierte Mahlzeit fasste er kaum an. Er bat nur um ein Glas Wasser mit Eiswürfeln, die er schließlich im Mund zerkaute. Nach der Landung und als sich die Türen öffneten, stand er einen Moment lang an der Öffnung. Kaum hatte er Zeit, nach frischer Luft zu schnappen, schon formte sich bereits eine Schlage ungeduldiger Passagiere hinter ihm. Er gingüber die Fluggastbrücke und blickte hinaus. Der Himmel war von dichten Wolken bedeckt. Als die Sonne dann kurzzeitig durch die Wolken schien, sah er ein Flugzeug abfliegen. Ein mit gelber phosphoreszierender Weste gekleideter Arbeiter sah es auch, als es übersie flog. Das Flugzeug warf seinen Schatten auf den Boden und der Arbeiter fand sich augenblicklich im Zentrum eines riesigen dunklen Kreuzes. Jetzt wusste er es: Die Flughäfen erinnerten ihn an Friedhöfe. So viele Menschen an demselben Ort und gleichzeitig jeder für sich allein. Er musste dreißig Minuten lang an der Schlange für die Reisepasskontrolle warten. Neben ihm wartete eine Gruppe Pakistaner (oder vielleicht auch Libyer, Syrer oder Iraker) mit Unterlagen in der Hand und von einem Band umrundet, auf dem zu lesen war: „BORDER AGENCY DO NO CROSS“. „So so!“ sagte er sich immer wieder. Als er dran war, beantwortete er die an ihn gestellten Fragen abwesend, als ob er seine Antworten von vornherein vorbereitet hatte. Das hatte er auch getan. „Ist es Ihr erstes Mal in Großbritannien?“ „Jawohl.“ „Dürfte ich Ihren Reisepass haben, bitte?“ „Bitte sehr.“ „Der Grund Ihrer Einreise?“ „Ich werde an der Oxford Universität arbeiten.“ Er fühlte sich wegen seiner Aussprache verraten. Der mit einem Schnurrbart versehene rasierte Kopf winkte ihn vorbei. Auf sein Gepäck, die zwei großen Koffer und den kleinen Sac voyage, musste er noch fünfunddreißig Minuten lang warten. Er zog alles bis zur Bushaltestelle hinter sich her, während er den Schildern folgte. Auch dort wartete er an einer Schlange. Er gab dem Fahrer des blauen Busses sein Gepäck, zahlte seine Fahrkarte und stieg ein. Er quetschte sich in einen Platz am Fenster. Er schnallte sich an und schlief ein. Als er kurz seine Augen öffnete, sah er einen LkwKonvoi vorbeifahren mit der Bezeichnung „Garten Eden“, was er für ein weiteres unverständliches Omen hielt. Er schloss die Augen wieder. Sein Ziel erreichte er eine Stunde später.
In den ersten Tagen wohnte er im Lincoln College. Es fiel ihm leicht, es zu finden. Er hatte bereits eine Google-Map ausgedruckt und sich Notizen bezüglich der Distanz oder der Straßennamen auf einen gelben Post-it gemacht, den er an die obere rechte Seite der Karte geklebt hatte. Der Herr im Eingang, der eine mit dem Wappen des Colleges geschmückte Jacke trug, gab ihm seinen elektronischen Schlüssel. Aus einem glücklichen Missverständnis heraus, welches er allerdings nicht klarzustellen bereit war, gaben sie ihm das Zimmer für die Gastprofessoren. Ein Zimmer mit Kaminfeuer, Blumentapete, Teppichboden, Schreibtisch aus Mahagoni und Tischlampe aus Opalin, Waschbecken und Badewanne mit unterschiedlichen Wasserhähnen für warm oder kalt. Er packte überhaupt nichts aus. Das Gefühl, dass er nur vorläufig dort war, brachte ihn dazu, nur diejenigen Gegenstände zu benutzen, die sich im kleinen Sac voyage befanden. Jeden Morgen versuchte er vor acht Uhr aufzustehen, so dass er genug Zeit für das im Saal servierte Frühstück und einen Spaziergang im Hintergarten mit dem gepflegten Rasen hatte. Dann ging er durch die Bibliothek und spähte nach den Buchrücken, ohne an den Büchern selbst interessiert zu sein. Schließlich ging er zum Institut für Biochemie, um mehrere organisatorische Angelegenheiten zu regeln. Am letzten Abend musste er dann doch in ein anderes Zimmer umziehen. Sie hatten ihm die Lage mit höflichsten Worten erklärt und sich mehrmals für die Unannehmlichkeit entschuldigt. Sie hatten ihm den elektronischen Schlüssel abgenommen und ihm dagegen einen ganz normalen gegeben. Der Herr am Eingang begleitete ihn aus dem College und in das gegenüberliegende Gebäude, das ein Geschäft mit Glasartikeln im Erdgeschoss beherbergte. Das Gebäude erinnerte ihn an die Arbeiterhochhäuser des ehemaligen Ostblocks. In seinem Kopf kreiste der Namen „Ceausescu“ herum. Beide gingen an Studentenzimmern und Wohngemeinschaftsbädern vorbei, bis sie an das Ende eines Korridors gelangten. „Guestroom B“: der Boden krächzte, die Fenster blickten auf einen Lichtschacht, abgetretener Teppichboden und ebenfalls abgenutzte rustikale Möbel. In der Nacht machte er kein Auge zu. Er eröffnete ein neues E-Mail-Konto und ein Konto auf Facebook. Wohnort: Oxford, Großbritannien. Spracheinstellungen: Englisch. Erster Eintrag: „Bereits hier; wo immer dies sein soll“. Ab sechs Uhr am nächsten Morgen spazierte er im College herum, im Hintergarten und in der Bibliothek. Sein Gepäck hatte er am Eingang stehenlassen. Das vom Herrn mit dem College-Wappen auf der Jacke herbeigerufene Taxi, welches von einem plauderfreudigen albanischen Fahrer gefahren wurde, würde ihn zu seinem neuen Zuhause bringen.
[4]
Er mietete die erste verfügbare Wohnung über die erste Immobiliengesellschaft, die er im Internet fand. Seine Recherche dauerte weniger als fünfzehn Minuten. Zwei Zimmer, eine Küche und ein Bad für siebenhundertfünfundneunzig Pfund im Monat. Die Maklerin fuhr ihn zur Wohnung mit ihrem Auto und ihrem bestmöglichen Lächeln. Es ging um das Untergeschoss einer ehemaligen protestantischen Kirche, welches in Wohnungen umgewandelt worden war. Die Führung ging durch alle vier Zimmer. Sie sagte ihm, dass dieser Raum früher zum Beten des Katechismus vorgesehen war. Die Wände waren voll von Aspergillusflecken. In der Küche war das Abflussrohr rostig und es gab nur einen einzigen Stuhl, dessen hinteres linkes Bein abgebrochen war. „Wenn man ihn von hinten ansieht, scheint er eine Verbeugung zu machen, nicht wahr?“ scherzte die Maklerin. Er reagierte nicht. Das Wohnzimmer stand leer, abgesehen von einem auf den Boden gefallenen Heizkörper. Auf den Lichtschaltern waren Fingerabdrücke zu sehen. Die Matratze im Wohnzimmer hatte eine von einem Schweißfleck umrandete Einbuchtung . Er hatte kein Problem damit. Er unterschrieb den Vertrag, ohne ihn vorher zu lesen und ohne Fragen zu stellen. Er zahlte bar die Kaution; zwanzig mit einem Gummi zusammengehaltene Fünfzigpfundscheine, so wie er sie aus Athen mitgebracht hatte. Er nahm die handschriftliche Quittung entgegen. Zweiter Eintrag auf seiner Facebookseite: „In meinem Käfig“. Als sein Profilfoto stellte er das Foto ein, das er von seinen sieben Stufen geschossen hatte. Mit einer Kopie des Vertrags in der Innentasche seiner Jacke und den ipodStöpseln in den Ohren ging er den Weg am Fluss hinauf. Während er der Chopininterpretation von Dinu Lipattis zuhörte, blickte er zum ersten Mal in seinem Leben (zum zweiten Mal, wenn man die Nils Holgersson-Episoden dazuzählte) die Enten und Schwäne an. Sie beeindruckten ihn nicht. Stattdessen lenkten sie ihn von seinen Gedanken über die Levin und Harlow Experimente, von seinen Betrachtungen über Carlson und die Ceausescu-Waisenheime ab. Dann bemerkte er einen jungen Mann um die zwanzig, fünfundzwanzig Jahre alt, der auf einer Bank saß. Er hatte einen schwarzen Smoking, ein weißes Hemd, Fliege und Lackschuhe an. Vor ihm stand eine rauchende Dame. Sie schien doppelt so alt zu sein wie er. Sie trug einen breiten Overall für Männer, einen schmutzigen Trenchcoat und dazu rosafarbene fusselige Pantoffeln. Sie hielt eine Tüte voll mit Plastikflaschen in der Hand. Sie sprachen gleichzeitig aufeinander ein. Die Frau sprach laut, der junge Mann leise. Plötzlich ging er langsamer und schaltete die Musik in seinen Ohren aus. Er hörte sie über verlorene Liebe sprechen, ohne einander dabei anzusehen. Nur ihre Hände berührten sich ab und zu. Er drückte nochmal auf “Play“. „Die von der Frau gesprochene Phrase, die Menschen lernen sich durch Zufall kennen und werden vom Zufall wieder getrennt könnte beides sein, Titel eines Lieds oder einer Dissertation“, überlegte er und ließ die beiden hinter sich zurück.
*****
Von: n.economopoulos@biochem.ox.ac.uk
MARKUS AURELIUS
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Es gab Tage, an welchen der Nebel sich zurückzog. Erst dann kamen die Farbe der Steine auf dem Gehsteig und die Flicken im Gras in den Vorgärten zum Vorschein, jener Moosbezug, der die Dächer der gleichaussehenden und gleichgefärbten Häuser bedeckte. An solchen Tagen atmete die Stadt tief ein. Er ging zu im Voraus geplanten langen Spaziergängen hinaus, immer alleine, in Schals, Pullover und Mantel gut eingehüllt. Er stieg die sieben Stufen mit äußerster Vorsicht hinauf und erreichte den Gehsteig. Jedes Mal zählte er sie mit der Angst, dass sie sich vielleicht über Nacht vermehrt oder verringert hätten. Sobald er die letzte Stufe erreichte, tastete er den Gehsteig mit der Spitze seines Schuhs ab, als ob er die Wassertemperatur eines fiktiven Meeres testete. Dann lief er los. Er ging auf dem Gehsteig und achtete darauf, dass er seine Schritte immer innerhalb der vier Seiten der Platten setzte. Im Falle, dass es geschneit hatte, achtete er besonders darauf, dass er mit größter Präzision den Schritten seines Vorgängers folgte. Er ging langsam. Um die Straße zu überqueren, benutzte er immer die Zebrastreifen. Und immer setzte er dieselben Orientierungspunkte für die Strecke: den roten Postkasten der Royal Mail um die Ecke, der verlassene Pub „Fox & Hounds“, das Haus mit den grüngefärbten Wänden, den unrasierten und am Zaun der Stadtbibliothek lehnenden Obdachlosen, das Schaufenster des Teeladens am Eingang des Marktes. Immer dieselben Abbiegungen nach rechts oder links auf der Karte seines alltäglichen Lebens. Nicht dass er in einer Stadt verloren gehen würde, die er trotz seiner drei Jahre dort kaum kannte. An einem Donnerstagnachmittag fand er seine Orientierungspunkte anders vor. Er schenkte dieser Tatsache keine besondere Bedeutung. Wie immer stieg er die sieben Stufe hinauf. Frischer Schnee bedeckte die Lünette seiner Wohnung und den roten Postkasten. Aus dem Pub entwickelte sich langsam eine TescoSupermarktfiliale. Das grüne Haus lag unter Nylonschichten und die herumlaufenden Arbeiter glichen Ameisen. Der Zaun der Stadtbibliothek war frischgestrichen und der Obdachlose war nirgendwo zu sehen. Er ging weiter. Er glaubte nämlich nicht an Zeichen. Das Schaufenster des Teeladens war zum Beispiel intakt. Dosen und Büchsen mit English Breakfast, Green Leaf, Darjeeling und Earl Grey waren auf einandergestapelt. Einer der roten Busse, die nach London fuhren, fuhr auf den Gehsteig. Er sah nichts und hörte auch nichts. Er war auf der Stelle tot. Leute sammelten sich um ihn herum. Manche weinten laut vor sich hin. Das Schaufester des Teeladens war jetzt mit Blut bespritzt. Die Polizei sperrte stundenlang die Straße mit gelbem Polizeiband ab: „POLICE LINE DO NOT CROSS“. Das Ereignis wurde detailiert aufgenommen und viele Fotos wurden geschossen. Bis hin in den frühen Abend lag sein Körper auf dem Gehsteig. Am nächsten Morgen sorgte sein Tod für die Schlagzeilen in der Oxford Times und der Oxford Mail. Dazu waren auch Mitteilungen von Passanten und Nachbarn zu lesen, mit welchen er nicht einmal einen Blick ausgetauscht hatte.
[2]
Hinter sich zurück ließ er überhaupt nichts. Beim Umzug hatten ihm seine Eltern und seine Schwester mit zwei Autos geholfen. Auch ein Cousin von ihm, den er jahrelang nicht mehr gesehen hatte und an dessen Namen er sich jetzt nicht mehr erinnern konnte. Er ist damals mit seinem Transporter hergefahren, um der Familie zur Hand zu gehen. Sie hatten alles in Kartons für Milchdosen der Marke NOYNOY und in schwarze Müllsäcke eingepackt. Eins nach dem anderen hatten sie alles verpackt und in jede mögliche leere Stelle gesteckt. Sobald ein Karton oder ein Müllsack vollgepackt war, stellte er ihn in den leeren Salonraum. In der Diele hatte sich bereits ein Haufen von unbrauchbarem Zeug wie alte Kleidung, ein Basketball, ein Teppich und ein Plattenspieler gesammelt, welche verschenkt oder weggeworfen würden. Die Auswahl hatte er seiner Mutter überlassen. Von dem, was übrigblieb, würde er nur das mitnehmen, was in seinen beiden Koffern und in einem kleinen Sac voyage Platz hatte. „Weiter nichts“, hatte er sich klar gemacht. Dem Druck seiner Eltern nachgebend hatte er zugestimmt, dass sie ihm einiges per Spedition zuschicken, allerdings unter der Voraussetzung, dass er selbst über die zu versendenden Objekte entscheiden würde. Bettwäsche, spitzengeschmückte Handtücher, Töpfe und Schnellkochtöpfe wurden durch Kassetten, CDs, Bücher, Fotoalben, eine Münzsammlung, das Tonbandgerät, das sie ihm zu seinem zehnten Geburtstag geschenkt hatten, und sein altes Fahrrad ersetzt. Er legte alles auf einen neuen Stapel vor seinem (ehemaligen) Zimmer und versah diesen mit einem gelben post-it, auf dem zu lesen war: „Meine Damen und Herren, wir ziehen um“. Nachdem alles eingeladen war, schaute er nochmal im Haus herum, für den Fall, dass er versehentlich etwas vergessen hatte. Er machte nacheinander alle Schubladen und Schränke auf. Dann nochmal. Er sah mehrmals unter dem Bett und hinter dem Kühlschrank nach. Er sah sich ein letztes Mal um. Alles leer. Er ließ die Balkontüren offen und die Schlüssel in der Türstecken. Aus der Klingel am Eingang entfernte er seinen Namen. Bis zum Tag seines Abflugs wohnte er bei seinen Eltern. „Ich bin in meinem Elternhaus zu Gast“, sagte er am Handy. Das Doppelbett im Zimmer seiner Eltern hatte er abgelehnt, ebenso das damals neugekaufte IKEA-Sofa im Wohnzimmer, welches zu einem Bett umfunktioniert werden konnte. Ihm war die Vertrautheit seines mit Kram vollgestopften Kinderzimmers lieber. Am ersten Abend legte er sich früh hin. Trotztdem konnte er in diesem von Asterix- und Obelix-Figuren vollen Raum kein Auge zumachen. Der Widerschein des im Flur brennenden Lichtes auf der bronzenen Trompete seines Vaters – stumm auf dem Regal seit seinen Jahren an der Philharmonie– ließ ihn nicht einschlafen. Er stand auf und räumte sie woanders hin. Er legte sich wieder hin. Er hatte den Eindruck, dass er wieder ein acht- oder neunjähriges Kind war, das gelernt hatte, sein kleines orangenfarbenes Licht auszumachen. Die Jungs schlafen ohne LichtDie Pendeluhr im Wohnzimmer schlug zwölfmal. Er setzte seine Brille auf und ging durch den Flur. Er kam an die geöffnete Tür des Schlafzimmers seiner Eltern. Im Schlaf sank deren
Brust gleichzeitig hoch und nieder. Links vom Bett stand immer noch die Wiege seiner Schwester, die jetzt die Porzellanpuppen seiner Mutter beherbergte. Sein Vater legte immer wieder sein Haar zurecht, als ob er vor einem riesigen Spiegel sitzen würde. Seine Mutter blinzelte, als ob sie sich anstrengte aufzuwachen. Er setzte sich auf das Mosaikboden an der Tür und lehnte sich gegen die Wand. Er würde schwören, dass in diesem Moment ein langer Zug, so lang wie die Frauen in den Werbungen, den Flur durchquerte. Trotzdem schlief er ein. Am nächsten Morgen sprach keiner ein Wort darüber. In der nächsten Nacht schaffte er es, nur zwischen drei und sechs Uhr morgens zu schlafen. Der in der Luft schwebende Staub störte ihn und er musste husten. Ihn störte auch das altbekannte Mosaik, er wusste aber nicht warum.
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Zum Flughafen wurde er von einem Tross stummer Verwandter gebracht. Er lächelte ihnen zu und erzählte Witze, während alle andere jammerten. Nur seine Schwester war nicht da. „Schwanger mit Zwillingen“, entschuldigte sie seine Mutter immer wieder. Eine glaubwürdige Ausrede. Allerdings stieg ihm in diesem Moment ihre Abwesenheit in den Hals. Er ging zum Check-in Schalter . Die meisten Blicke und Umarmungen vermied er. Er ging in den Abflugsaal durch die Reisepasskontrolle und winkte ihnen mit der Hand, während er ihnen bereits seinen Rücken zugewandt hatte. „Wie kann ich Abflüge sehen und nicht weinen?“ sagte sein Vater und brach in Tränen aus. Seine Mutter dagegen sprach kein Wort. Nachdem er amDuty FreeShop vorbei und aus ihrer Sicht war, stellte er gleich sein Handy auf „lautlos“. Genauso würde es auch für die nächsten drei Jahre bleiben. An der Sicherheitskontrolle nahmen sie ihm sein Parfüm und die Kontaktlinsenflüssigkeit ab, da ihre Verpackung die 100ml-Grenze überschritt. Er hielt dies für eine Art Omen. Er sagte nichts und ging weiter. Er saß im Warteraum. Die Ankündigung des Einstiegs abwartend äugte er abwesend in seinen Reisepass und überlegte, wie wenig er der Person auf dem Foto ähnelte. Dann fragte er sich, warum er sich in Flughäfen so einsam fühlte. An was erinnerten sie ihn, dass es so weh tat? Tiegel der menschlichen Gewohnheiten; Essen, Lesen, verlorenes Gepäck, schlecht geplante Abflüge und Ankünfte, die zu erwartende Tränen des Abschieds und der Wiederbegegnung. Dann hörte er vom Lautsprecher: „Die Passagiere des Flugs No A3608 nach London, Heathrow, werden zum Einsteigen gebeten“. Alle standen auf einmal auf. Dagegen zog er es vor, als Letzter einzusteigen. Er erinnerte sich an einen Artikel im National Geographic, wo er von einer alten rumänischen Sitte gelesen hatte, laut welcher man vor der Abreise als Glücksbringer einige Momente kompletter Stille einhalten solle. Er schloss die Augen und zählte bis zehn. Dann stand er auf und ging auf die lächelnde Frau mit dem Tuch um den Hals zu. Er zeigte ihr seinen Reisepass mit dem Foto, auf dem er kaum wiederzuerkennen war und seinen Boardingpass. Er durfte weiter. Er ging über die Fluggastbrücke und schaute dabei zu den Spitzen seiner Schuhe hinunter. Als er an der Stewardess vorbeiging, erwiderte er ihr Lächeln nicht. Wortlos zählte er die Sitzreihen und berührte dabei den Sitzrücken mit der Hand. Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben, acht… bis hin zu 19A, am Fenster. Er setzte sich und schnallte sich an, indem er seinen Sitzgurt fest- zog. Er steckte sich die ipod-Ohrstöpsel in die Ohren und konnte kaum die Mitteilung aus dem Cockpit hören: „Unser heutiger Flug zum Heathrow Flughafen wird ungefähr drei Stunden und fünfundvierzig Minuten dauern“. Den Namen des Pilots behielt er nicht. Die Ohrstöpsel nahm er nach dem Hinweis der künstlich lächelnden Stewardess nur während des Abflugs und der Landung ab. Die servierte Mahlzeit fasste er kaum an. Er bat nur um ein Glas Wasser mit Eiswürfeln, die er schließlich im Mund zerkaute. Nach der Landung und als sich die Türen öffneten, stand er einen Moment lang an der Öffnung. Kaum hatte er Zeit, nach frischer Luft zu schnappen, schon formte sich bereits eine Schlage ungeduldiger Passagiere hinter ihm. Er gingüber die Fluggastbrücke und blickte hinaus. Der Himmel war von dichten Wolken bedeckt. Als die Sonne dann kurzzeitig durch die Wolken schien, sah er ein Flugzeug abfliegen. Ein mit gelber phosphoreszierender Weste gekleideter Arbeiter sah es auch, als es übersie flog. Das Flugzeug warf seinen Schatten auf den Boden und der Arbeiter fand sich augenblicklich im Zentrum eines riesigen dunklen Kreuzes. Jetzt wusste er es: Die Flughäfen erinnerten ihn an Friedhöfe. So viele Menschen an demselben Ort und gleichzeitig jeder für sich allein. Er musste dreißig Minuten lang an der Schlange für die Reisepasskontrolle warten. Neben ihm wartete eine Gruppe Pakistaner (oder vielleicht auch Libyer, Syrer oder Iraker) mit Unterlagen in der Hand und von einem Band umrundet, auf dem zu lesen war: „BORDER AGENCY DO NO CROSS“. „So so!“ sagte er sich immer wieder. Als er dran war, beantwortete er die an ihn gestellten Fragen abwesend, als ob er seine Antworten von vornherein vorbereitet hatte. Das hatte er auch getan. „Ist es Ihr erstes Mal in Großbritannien?“ „Jawohl.“ „Dürfte ich Ihren Reisepass haben, bitte?“ „Bitte sehr.“ „Der Grund Ihrer Einreise?“ „Ich werde an der Oxford Universität arbeiten.“ Er fühlte sich wegen seiner Aussprache verraten. Der mit einem Schnurrbart versehene rasierte Kopf winkte ihn vorbei. Auf sein Gepäck, die zwei großen Koffer und den kleinen Sac voyage, musste er noch fünfunddreißig Minuten lang warten. Er zog alles bis zur Bushaltestelle hinter sich her, während er den Schildern folgte. Auch dort wartete er an einer Schlange. Er gab dem Fahrer des blauen Busses sein Gepäck, zahlte seine Fahrkarte und stieg ein. Er quetschte sich in einen Platz am Fenster. Er schnallte sich an und schlief ein. Als er kurz seine Augen öffnete, sah er einen LkwKonvoi vorbeifahren mit der Bezeichnung „Garten Eden“, was er für ein weiteres unverständliches Omen hielt. Er schloss die Augen wieder. Sein Ziel erreichte er eine Stunde später.
In den ersten Tagen wohnte er im Lincoln College. Es fiel ihm leicht, es zu finden. Er hatte bereits eine Google-Map ausgedruckt und sich Notizen bezüglich der Distanz oder der Straßennamen auf einen gelben Post-it gemacht, den er an die obere rechte Seite der Karte geklebt hatte. Der Herr im Eingang, der eine mit dem Wappen des Colleges geschmückte Jacke trug, gab ihm seinen elektronischen Schlüssel. Aus einem glücklichen Missverständnis heraus, welches er allerdings nicht klarzustellen bereit war, gaben sie ihm das Zimmer für die Gastprofessoren. Ein Zimmer mit Kaminfeuer, Blumentapete, Teppichboden, Schreibtisch aus Mahagoni und Tischlampe aus Opalin, Waschbecken und Badewanne mit unterschiedlichen Wasserhähnen für warm oder kalt. Er packte überhaupt nichts aus. Das Gefühl, dass er nur vorläufig dort war, brachte ihn dazu, nur diejenigen Gegenstände zu benutzen, die sich im kleinen Sac voyage befanden. Jeden Morgen versuchte er vor acht Uhr aufzustehen, so dass er genug Zeit für das im Saal servierte Frühstück und einen Spaziergang im Hintergarten mit dem gepflegten Rasen hatte. Dann ging er durch die Bibliothek und spähte nach den Buchrücken, ohne an den Büchern selbst interessiert zu sein. Schließlich ging er zum Institut für Biochemie, um mehrere organisatorische Angelegenheiten zu regeln. Am letzten Abend musste er dann doch in ein anderes Zimmer umziehen. Sie hatten ihm die Lage mit höflichsten Worten erklärt und sich mehrmals für die Unannehmlichkeit entschuldigt. Sie hatten ihm den elektronischen Schlüssel abgenommen und ihm dagegen einen ganz normalen gegeben. Der Herr am Eingang begleitete ihn aus dem College und in das gegenüberliegende Gebäude, das ein Geschäft mit Glasartikeln im Erdgeschoss beherbergte. Das Gebäude erinnerte ihn an die Arbeiterhochhäuser des ehemaligen Ostblocks. In seinem Kopf kreiste der Namen „Ceausescu“ herum. Beide gingen an Studentenzimmern und Wohngemeinschaftsbädern vorbei, bis sie an das Ende eines Korridors gelangten. „Guestroom B“: der Boden krächzte, die Fenster blickten auf einen Lichtschacht, abgetretener Teppichboden und ebenfalls abgenutzte rustikale Möbel. In der Nacht machte er kein Auge zu. Er eröffnete ein neues E-Mail-Konto und ein Konto auf Facebook. Wohnort: Oxford, Großbritannien. Spracheinstellungen: Englisch. Erster Eintrag: „Bereits hier; wo immer dies sein soll“. Ab sechs Uhr am nächsten Morgen spazierte er im College herum, im Hintergarten und in der Bibliothek. Sein Gepäck hatte er am Eingang stehenlassen. Das vom Herrn mit dem College-Wappen auf der Jacke herbeigerufene Taxi, welches von einem plauderfreudigen albanischen Fahrer gefahren wurde, würde ihn zu seinem neuen Zuhause bringen.
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Er mietete die erste verfügbare Wohnung über die erste Immobiliengesellschaft, die er im Internet fand. Seine Recherche dauerte weniger als fünfzehn Minuten. Zwei Zimmer, eine Küche und ein Bad für siebenhundertfünfundneunzig Pfund im Monat. Die Maklerin fuhr ihn zur Wohnung mit ihrem Auto und ihrem bestmöglichen Lächeln. Es ging um das Untergeschoss einer ehemaligen protestantischen Kirche, welches in Wohnungen umgewandelt worden war. Die Führung ging durch alle vier Zimmer. Sie sagte ihm, dass dieser Raum früher zum Beten des Katechismus vorgesehen war. Die Wände waren voll von Aspergillusflecken. In der Küche war das Abflussrohr rostig und es gab nur einen einzigen Stuhl, dessen hinteres linkes Bein abgebrochen war. „Wenn man ihn von hinten ansieht, scheint er eine Verbeugung zu machen, nicht wahr?“ scherzte die Maklerin. Er reagierte nicht. Das Wohnzimmer stand leer, abgesehen von einem auf den Boden gefallenen Heizkörper. Auf den Lichtschaltern waren Fingerabdrücke zu sehen. Die Matratze im Wohnzimmer hatte eine von einem Schweißfleck umrandete Einbuchtung . Er hatte kein Problem damit. Er unterschrieb den Vertrag, ohne ihn vorher zu lesen und ohne Fragen zu stellen. Er zahlte bar die Kaution; zwanzig mit einem Gummi zusammengehaltene Fünfzigpfundscheine, so wie er sie aus Athen mitgebracht hatte. Er nahm die handschriftliche Quittung entgegen. Zweiter Eintrag auf seiner Facebookseite: „In meinem Käfig“. Als sein Profilfoto stellte er das Foto ein, das er von seinen sieben Stufen geschossen hatte. Mit einer Kopie des Vertrags in der Innentasche seiner Jacke und den ipodStöpseln in den Ohren ging er den Weg am Fluss hinauf. Während er der Chopininterpretation von Dinu Lipattis zuhörte, blickte er zum ersten Mal in seinem Leben (zum zweiten Mal, wenn man die Nils Holgersson-Episoden dazuzählte) die Enten und Schwäne an. Sie beeindruckten ihn nicht. Stattdessen lenkten sie ihn von seinen Gedanken über die Levin und Harlow Experimente, von seinen Betrachtungen über Carlson und die Ceausescu-Waisenheime ab. Dann bemerkte er einen jungen Mann um die zwanzig, fünfundzwanzig Jahre alt, der auf einer Bank saß. Er hatte einen schwarzen Smoking, ein weißes Hemd, Fliege und Lackschuhe an. Vor ihm stand eine rauchende Dame. Sie schien doppelt so alt zu sein wie er. Sie trug einen breiten Overall für Männer, einen schmutzigen Trenchcoat und dazu rosafarbene fusselige Pantoffeln. Sie hielt eine Tüte voll mit Plastikflaschen in der Hand. Sie sprachen gleichzeitig aufeinander ein. Die Frau sprach laut, der junge Mann leise. Plötzlich ging er langsamer und schaltete die Musik in seinen Ohren aus. Er hörte sie über verlorene Liebe sprechen, ohne einander dabei anzusehen. Nur ihre Hände berührten sich ab und zu. Er drückte nochmal auf “Play“. „Die von der Frau gesprochene Phrase, die Menschen lernen sich durch Zufall kennen und werden vom Zufall wieder getrennt könnte beides sein, Titel eines Lieds oder einer Dissertation“, überlegte er und ließ die beiden hinter sich zurück.
*****
Von: n.economopoulos@biochem.ox.ac.uk
Betreff: Experiment #1 (Ein guter Start?)
An: m.godding@biochem.ox.ac.uk
Mark,
ich setzte die vier Kleinen in zwei unterschiedliche Käfige. In einen das Weibchen mit ihren zwei Kleinen. In den anderen das Männchen, dem die Paarung nicht möglich war. Nach nur einer Woche wiesen die ersten einen normalen Kortisolspiegel auf. Bei den zwei anderen lag der Kortisolspiegel deutlich höher (P<0,001, unpaired Student’s t-test). Bei den erstenschien der Mutterverlust ersetzt worden zu sein. Die zwei anderen hatten ihre Lebensräume in den zwei entgegengesetzen Ecken des Käfigs festgesetzt und zeigten sich übersensibel gegenüber allen äußeren Reizen (z.B. Lärm, hellem Licht, stressbezogenen Gerüchen).
N.
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[5]
Das Licht drang in die Wohnung durch die zwei Luken, die zur Straße gingen und durch das Glas an der Tür mit dem marternden verzwickten Schloss. Im Winter wurden die Luken sehr oft von einer dicken Nebelschicht bedeckt, was die Wände dazu brachte, vor Feuchtigkeit zu schwitzen. Ihr Schweiß wurde vor Kälte zu Eis. Dann zog er üblicherweise sein Bett in die Mitte des Schlafzimmers und presste sich an den Heizkörper. Um ihn herum befanden sich ein zu Boden gefallenes Kissen, Handtücher, die er zum Trocknen auf den Heizkörper gelegt hatte und ebenfalls auf dem Boden liegende oder an der Tür aufgehängte Kleidung. Im Sommer schwitzten die Wände noch mehr und die Luft in der Wohnung war kaum zu ertragen. Dann machte er die Badetür auf und ließ den Lüftungsventilator an. Seine Kleidung schien gerade aus der Waschmaschine gekommen zu sein. Doch er hatte keine Waschmaschine und keinen Fernseher. Er würde das auch niemals kaufen. Die kleine Mikrowelle, die der ehemalige Mieter zurückgelassen hatte, benutzte er jetzt als Nachttisch, um Platz für seine Brille und die kleine Wasserflasche zu haben. Am Eingang gleich hinter der Tür hatte er immer noch all seine Sachen in Kartons und schwarzen Müllsäcken liegen, das heißt genau so, wie sie mit der Spedition angekommen waren. Bücher, CDs, Kassetten, die er ohne Kassettenrekorder kaum hören konnte, und die Münzsammlung. Das zweite Zimmer stand leer, abgesehen von einer krummen Tischlampe und einem gebrauchten Zweiersofa. Da könnte vielleicht auch ein Schreibtisch rein – was allerdings durch das nun permanent gewordene Vorläufigkeitsgefühl niemals geschah. Die ganze Wohnung war von einem tiefgrünen und abgenutzten Teppichboden bedeckt. Er hatte ihn tausendmal gesaugt, fand er aber immer noch Haare und Fingernägel des Vormieters darin. Nach ungefähr einem Jahr hatte ihm ein anderer Grieche vorgeschlagen, in einen Neubau, sogar einen günstigeren mit Waschmaschine und Fernseher umzuziehen. Er lehnte das Angebot ohne weiteres ab: „Ich hab’ meinen Käfig“.
Tagein, tagaus schaffte er sich eine Routine, indem er versuchte, das Verstreichen der Zeit zu ignorieren. Die Pille des Alltags. Er wachte auf, duschte sich schnell, nahm sein Frühstück, wusch das Geschirr des Vortags und ging ins Labor. Er betrat das Gebäude mit seiner Karte ein, grüßte die dunkelhäutige Dame am Eingangsschalter sowie seine Kollegen, die ihm leise und alle zugleich antworteten und fing mit seinen Experimenten an. Er machte nur Pausen um auf die Toilette, in den Raum mit den Mäusen oder zum Mittagessen zu gehen. Das Vokabular, das er jeden Tag benutzte, war mehr oder weniger dasselbe. „Ja, ich habe diesen Artikel gelesen“, „Nein, das hab’ ich noch nicht getan“, „Das klingt ja gut“, „Was hast du Spannendes am Wochenende unternommen?“, Wie geht es deinen Mäusen?“, „Wo ist dies oder jenes zu finden?“, „Lust auf Kaffee?“, „Um wieviel Uhr findet die Vorlesung von soundso statt?“, „Tee?“, „Leider kann ich heute Abend nicht“, „Was für ein Wetter heute!“, „Nein, heute Abend geht es leider auch nicht“. Spät am Abend kam er dann nach Hause zurück. Jeden dritten Tag hielt er auf dem Weg nach Hause bei einem Bankomat, um dreißig oder auch zwanzig Pfund, wenn der Bankomat keine Zehnpfundscheine mehr hatte, abzuheben. Er tat dies, indem er mit vorgespielter Heimlichkeit seine PIN eingab. Jeden Freitag kaufte er für die ganze Woche ein und zahlte dabei immer bar. Das Wesentliche kaufte er bei einem Libanesen ein, der einen kleinen und eher schmutzigen Laden auf der gegenüberliegenden Seite der Straße unterhielt. Er muss dessen häufigster Kunde gewesen sein. Er kaufte Donuts und Milch für sein Frühstück, Cola light, irgendein fertiges Sandwich, Schokocroissant und gelegentlich eine billige Flasche Wein. Beim Zahlen dachte er jedes Mal an seine Mutter und zwar an ihre täglich abwechselnden n Gerichte, ihre köstlichen Teige, das Olivenöl aus dem Dorf und das Brot, das sie selbst backte. Er dachte daran, wie er die nach Plastik schmeckenden Donuts, die fertigen Sandwiches und das Schäumen der Cola in seinem Magen bevorzugte. Das selbstgemachte Essen hat ihn (wahrscheinlich) schon immer geekelt. Jetzt kaufte er auch Zigaretten, da er bereits am allerersten Tag mit dem Rauchen angefangen hatte. Pall Mall. Der Libanese hatte ihm versprochen, ihm aus London eine griechische Zeitung zu bestellen. Das war jedoch nie der Fall.
Jeden Tag versuchte er ernsthaft, sich mit der Stadt vertraut zu machen. Er riskierte es, indem er in Bussen fuhr, deren Ziel und Strecke er nicht kannte. Er stieg ein und grüßte den Fahrer. Er kaufte immer eine einfache Fahrkarte und stand immer für den Fall, dass er aussteigen musste. Mit den Ohrstöpseln in den Ohren musterte er seine Mitfahrer. Er betrachtete ihre Gesichter und versuchte sie sich als Kinder vorzustellen; das jungendliche Paar im hinteren Teil des Busses oder die Vierzigjährige im Anzug mit dem teuren Regenschirm in der Hand. Bei den älteren stellte er sich Abschiedsszenen vor. Schwarzweißbilder, auf welchen ihre Verwandten sie auf die Stirn küssten. Gleichzeitig versuchte er sich alle Abbiegungen und Stationen in sein Gedächtnis einzuprägen. Nach einigen Versuchen stellte er fest, dass alle Busse, die an seinem Haus vorbeifuhren, dieselbe Strecke hatten, die bis auf wenige Abweichungen im Zentrum der Stadt endete. Eine angenehme Enttäuschung. Von dort aus wählte er jedes Mal einen unterschiedlichen Weg zum Labor.
Mark,
ich setzte die vier Kleinen in zwei unterschiedliche Käfige. In einen das Weibchen mit ihren zwei Kleinen. In den anderen das Männchen, dem die Paarung nicht möglich war. Nach nur einer Woche wiesen die ersten einen normalen Kortisolspiegel auf. Bei den zwei anderen lag der Kortisolspiegel deutlich höher (P<0,001, unpaired Student’s t-test). Bei den erstenschien der Mutterverlust ersetzt worden zu sein. Die zwei anderen hatten ihre Lebensräume in den zwei entgegengesetzen Ecken des Käfigs festgesetzt und zeigten sich übersensibel gegenüber allen äußeren Reizen (z.B. Lärm, hellem Licht, stressbezogenen Gerüchen).
N.
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Das Licht drang in die Wohnung durch die zwei Luken, die zur Straße gingen und durch das Glas an der Tür mit dem marternden verzwickten Schloss. Im Winter wurden die Luken sehr oft von einer dicken Nebelschicht bedeckt, was die Wände dazu brachte, vor Feuchtigkeit zu schwitzen. Ihr Schweiß wurde vor Kälte zu Eis. Dann zog er üblicherweise sein Bett in die Mitte des Schlafzimmers und presste sich an den Heizkörper. Um ihn herum befanden sich ein zu Boden gefallenes Kissen, Handtücher, die er zum Trocknen auf den Heizkörper gelegt hatte und ebenfalls auf dem Boden liegende oder an der Tür aufgehängte Kleidung. Im Sommer schwitzten die Wände noch mehr und die Luft in der Wohnung war kaum zu ertragen. Dann machte er die Badetür auf und ließ den Lüftungsventilator an. Seine Kleidung schien gerade aus der Waschmaschine gekommen zu sein. Doch er hatte keine Waschmaschine und keinen Fernseher. Er würde das auch niemals kaufen. Die kleine Mikrowelle, die der ehemalige Mieter zurückgelassen hatte, benutzte er jetzt als Nachttisch, um Platz für seine Brille und die kleine Wasserflasche zu haben. Am Eingang gleich hinter der Tür hatte er immer noch all seine Sachen in Kartons und schwarzen Müllsäcken liegen, das heißt genau so, wie sie mit der Spedition angekommen waren. Bücher, CDs, Kassetten, die er ohne Kassettenrekorder kaum hören konnte, und die Münzsammlung. Das zweite Zimmer stand leer, abgesehen von einer krummen Tischlampe und einem gebrauchten Zweiersofa. Da könnte vielleicht auch ein Schreibtisch rein – was allerdings durch das nun permanent gewordene Vorläufigkeitsgefühl niemals geschah. Die ganze Wohnung war von einem tiefgrünen und abgenutzten Teppichboden bedeckt. Er hatte ihn tausendmal gesaugt, fand er aber immer noch Haare und Fingernägel des Vormieters darin. Nach ungefähr einem Jahr hatte ihm ein anderer Grieche vorgeschlagen, in einen Neubau, sogar einen günstigeren mit Waschmaschine und Fernseher umzuziehen. Er lehnte das Angebot ohne weiteres ab: „Ich hab’ meinen Käfig“.
Tagein, tagaus schaffte er sich eine Routine, indem er versuchte, das Verstreichen der Zeit zu ignorieren. Die Pille des Alltags. Er wachte auf, duschte sich schnell, nahm sein Frühstück, wusch das Geschirr des Vortags und ging ins Labor. Er betrat das Gebäude mit seiner Karte ein, grüßte die dunkelhäutige Dame am Eingangsschalter sowie seine Kollegen, die ihm leise und alle zugleich antworteten und fing mit seinen Experimenten an. Er machte nur Pausen um auf die Toilette, in den Raum mit den Mäusen oder zum Mittagessen zu gehen. Das Vokabular, das er jeden Tag benutzte, war mehr oder weniger dasselbe. „Ja, ich habe diesen Artikel gelesen“, „Nein, das hab’ ich noch nicht getan“, „Das klingt ja gut“, „Was hast du Spannendes am Wochenende unternommen?“, Wie geht es deinen Mäusen?“, „Wo ist dies oder jenes zu finden?“, „Lust auf Kaffee?“, „Um wieviel Uhr findet die Vorlesung von soundso statt?“, „Tee?“, „Leider kann ich heute Abend nicht“, „Was für ein Wetter heute!“, „Nein, heute Abend geht es leider auch nicht“. Spät am Abend kam er dann nach Hause zurück. Jeden dritten Tag hielt er auf dem Weg nach Hause bei einem Bankomat, um dreißig oder auch zwanzig Pfund, wenn der Bankomat keine Zehnpfundscheine mehr hatte, abzuheben. Er tat dies, indem er mit vorgespielter Heimlichkeit seine PIN eingab. Jeden Freitag kaufte er für die ganze Woche ein und zahlte dabei immer bar. Das Wesentliche kaufte er bei einem Libanesen ein, der einen kleinen und eher schmutzigen Laden auf der gegenüberliegenden Seite der Straße unterhielt. Er muss dessen häufigster Kunde gewesen sein. Er kaufte Donuts und Milch für sein Frühstück, Cola light, irgendein fertiges Sandwich, Schokocroissant und gelegentlich eine billige Flasche Wein. Beim Zahlen dachte er jedes Mal an seine Mutter und zwar an ihre täglich abwechselnden n Gerichte, ihre köstlichen Teige, das Olivenöl aus dem Dorf und das Brot, das sie selbst backte. Er dachte daran, wie er die nach Plastik schmeckenden Donuts, die fertigen Sandwiches und das Schäumen der Cola in seinem Magen bevorzugte. Das selbstgemachte Essen hat ihn (wahrscheinlich) schon immer geekelt. Jetzt kaufte er auch Zigaretten, da er bereits am allerersten Tag mit dem Rauchen angefangen hatte. Pall Mall. Der Libanese hatte ihm versprochen, ihm aus London eine griechische Zeitung zu bestellen. Das war jedoch nie der Fall.
Jeden Tag versuchte er ernsthaft, sich mit der Stadt vertraut zu machen. Er riskierte es, indem er in Bussen fuhr, deren Ziel und Strecke er nicht kannte. Er stieg ein und grüßte den Fahrer. Er kaufte immer eine einfache Fahrkarte und stand immer für den Fall, dass er aussteigen musste. Mit den Ohrstöpseln in den Ohren musterte er seine Mitfahrer. Er betrachtete ihre Gesichter und versuchte sie sich als Kinder vorzustellen; das jungendliche Paar im hinteren Teil des Busses oder die Vierzigjährige im Anzug mit dem teuren Regenschirm in der Hand. Bei den älteren stellte er sich Abschiedsszenen vor. Schwarzweißbilder, auf welchen ihre Verwandten sie auf die Stirn küssten. Gleichzeitig versuchte er sich alle Abbiegungen und Stationen in sein Gedächtnis einzuprägen. Nach einigen Versuchen stellte er fest, dass alle Busse, die an seinem Haus vorbeifuhren, dieselbe Strecke hatten, die bis auf wenige Abweichungen im Zentrum der Stadt endete. Eine angenehme Enttäuschung. Von dort aus wählte er jedes Mal einen unterschiedlichen Weg zum Labor.
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