10/11/17

Der Karyotyp - Kapitel 4

 


Aus der Novelle "Der Karyotyp" von Akis Panantonis
übersetzt ins Deutsche von: Eleni Stagkouraki©


[4]



Er mietete die erste verfügbare Wohnung über die erste Immobiliengesellschaft, die er im Internet fand. Seine Recherche dauerte weniger als fünfzehn Minuten. Zwei Zimmer, eine Küche und ein Bad für siebenhundertfünfundneunzig Pfund im Monat. Die Maklerin fuhr ihn zur Wohnung mit ihrem Auto und ihrem bestmöglichen Lächeln. Es ging um das Untergeschoss einer ehemaligen protestantischen Kirche, welches in Wohnungen umgewandelt worden war. Die Führung ging durch alle vier Zimmer. Sie sagte ihm, dass dieser Raum früher zum Beten des Katechismus vorgesehen war. Die Wände waren voll von  Aspergillusflecken. In der Küche war das  Abflussrohr rostig und es gab nur einen einzigen Stuhl, dessen  hinteres linkes Bein abgebrochen war.  „Wenn man ihn von hinten ansieht, scheint er eine Verbeugung zu machen, nicht wahr?“ scherzte die Maklerin.  Er reagierte nicht. Das Wohnzimmer stand leer, abgesehen von einem auf den Boden gefallenen Heizkörper. Auf den Lichtschaltern waren Fingerabdrücke zu sehen. Die Matratze im Wohnzimmer hatte eine von einem Schweißfleck umrandete Einbuchtung . Er hatte kein Problem damit. Er unterschrieb den Vertrag, ohne ihn  vorher zu lesen und ohne Fragen zu stellen. Er zahlte bar die Kaution; zwanzig mit einem Gummi zusammengehaltene Fünfzigpfundscheine, so wie er sie aus Athen mitgebracht hatte. Er nahm die handschriftliche Quittung entgegen. Zweiter Eintrag auf seiner Facebookseite: „In meinem Käfig“. Als sein Profilfoto stellte  er das Foto ein, das er von seinen sieben Stufen geschossen hatte. Mit einer Kopie des Vertrags in der Innentasche seiner Jacke und den ipodStöpseln in den Ohren ging er den Weg am Fluss hinauf. Während er der Chopininterpretation von Dinu Lipattis  zuhörte, blickte er zum ersten Mal in seinem Leben (zum zweiten Mal, wenn man die Nils Holgersson-Episoden dazuzählte) die Enten und Schwäne an. Sie beeindruckten ihn nicht. Stattdessen lenkten sie ihn von seinen Gedanken über die Levin und Harlow Experimente, von seinen Betrachtungen über  Carlson und die Ceausescu-Waisenheime ab. Dann bemerkte er einen jungen Mann um die zwanzig, fünfundzwanzig Jahre alt, der auf einer Bank saß. Er hatte einen schwarzen Smoking, ein weißes Hemd, Fliege und Lackschuhe an. Vor ihm stand eine rauchende Dame. Sie schien doppelt so alt zu sein wie er. Sie trug einen breiten Overall für Männer, einen schmutzigen Trenchcoat und dazu rosafarbene fusselige Pantoffeln. Sie hielt eine Tüte voll mit Plastikflaschen in der Hand. Sie sprachen gleichzeitig aufeinander ein. Die Frau sprach laut, der junge Mann leise. Plötzlich ging er langsamer und schaltete die Musik in seinen Ohren aus. Er hörte sie über verlorene Liebe  sprechen, ohne einander dabei anzusehen. Nur ihre Hände berührten sich ab und zu. Er drückte nochmal auf “Play“.  „Die von der Frau gesprochene Phrase, die Menschen lernen sich durch Zufall kennen und werden vom Zufall wieder getrennt könnte beides sein, Titel eines Lieds oder einer Dissertation“, überlegte er und ließ die beiden  hinter sich zurück. 

 
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Von: n.economopoulos@biochem.ox.ac.uk 
Betreff: Experiment #1 (Ein guter Start?) 
An: m.godding@biochem.ox.ac.uk



Mark,

ich setzte  die vier Kleinen in zwei unterschiedliche Käfige. In einen das Weibchen  mit ihren zwei Kleinen. In den anderen  das Männchen, dem die Paarung nicht möglich war. Nach nur einer Woche wiesen  die ersten einen normalen Kortisolspiegel auf. Bei den zwei anderen lag der Kortisolspiegel deutlich höher (P<0,001, unpaired Student’s t-test). Bei den erstenschien der Mutterverlust ersetzt worden zu sein. Die zwei anderen hatten ihre Lebensräume in den zwei entgegengesetzen Ecken des Käfigs festgesetzt und zeigten sich übersensibel gegenüber  allen äußeren Reizen (z.B. Lärm, hellem Licht, stressbezogenen Gerüchen).

N.
 
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 Alle Rechte der Übersetzung vorbehalten.

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